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„Der hat Angst, der ist aus dem Tierschutz!“ oder „Als Welpe ist sie mal schlimm gebissen worden.“ oder „Meiner kann Rüden nicht leiden!“ oder „Sonst ist der nicht so – Ihr Hund ist aber auch provakant!“ oder „Sie sind ja selbst Schuld, wenn Sie so schnell laufen!“ Es vergeht kaum eine Woche in der nicht ein „Problemhund“ Schlagzeilen macht. Immer wieder kommen – oft völlig unbeteiligte – Menschen zu Schaden. Aber auch Angriffe auf andere Hunde und Haustiere, die sehr häufig tödlich enden. Hunde beißen andere Hunde tot. Hunde verursachen viele Unfälle. Aber wie genau entsteht das Problem – und was kannst du sowohl als Halter als auch als Betroffener dagegen tun? Lies hier, was du über das Thema wissen solltest.
01 Wie äußert sich aggressives Verhalten beim HUnd?
Aggression ist ein Gefühl, das uns dazu antreibt unsere eigenen Grenzen zu beschützen, auf uns selbst aufzupassen und in drohenden oder in Konflikten zu behaupten. So betrachtet ist Aggression also ein tägliches Gefühl, ein völlig normales und auch ein absolut notwendiges Gefühl. Diese Beschreibung gilt für jedes Lebewesen auf der Welt. Ja, selbst Pflanzen sind aggressiv und beschützen z.B. durch die Produktion von Gift ihr Leben.
Da es nicht DEN HUND gibt, sondern viele verschiedene Hunderassen und -individuen, lässt sich hier keine verallgemeinernde Aussage treffen. Kurzum, nicht jeder Hund äußert Aggression auf dieselbe Weise. So kann sich Aggression äußern, indem der Hund knurrt, bellt, die Zähne fletscht – klar, das kennen wir alle. Aber es gibt auch Hunde, die nur gezielt eine Sache anschauen oder einen anderen Hund oder Menschen. Es gibt Hunde, die sich flach auf den Boden legen und dann plötzlich aufspringen. Hunde, die Menschen und Hunde anspringen oder umrennen. Hunde stellen einen Haarkamm auf vom Nacken bis zur Schwanzspitze oder markieren während sie einen anderen anschauen. Oder wer hätte vermutet, dass Hunde Aggression auch durch Lecken zum Ausdruck bringen? Ja, all dies zählt zu aggressiven Verhaltensweisen.
02 Welche Gründe gibt es für Aggressivität bei Hunden?
Die Gründe liegen eigentlich auf der Hand. Wenn wir wissen, dass Aggression dazu dient die eigenen Grenzen zu beschützen, dann zeigen Hunde aggressives Verhalten GENAU aus diesen Gründen. Die Schwierigkeit für uns Menschen besteht immer darin 1.) die Äußerung von Aggression zu erkennen und 2.) uns die Gründe dafür klar zu machen. Die ganze Sache ist also eine Bildungsfrage (wie gut kann ich Hunde lesen?) und eine Interpretationsfrage (ich kann nicht glauben, dass Hunde das meinen…).
Nehmen wir ein Beispiel: eine Familie, Mutter Vater zwei Kinder, hat einen Hund. Einen Rauhaardackel. Der Sohn, 8 Jahre, bekommt Besuch von einem Freund. Der Freund kommt ins Haus und zieht sich die Schuhe aus, stellt sie an die Tür und geht spielen. Der Hund läuft den Kindern direkt hinterher und ist aufgeregt. Er springt hoch und bellt. Die Mutter hindert den Hund daran zu den Kindern zu gehen, also geht der Hund zu den Schuhen des Besucherkindes und setzt sich daneben. Die Mutter denkt: ach wie süß! Und wie brav unser Hund ist…. Als der Besucherjunge nun nach Hause gehen will und auf seine Schuhe zugeht um sie anzuziehen, schnappt der Hund, vermeintlich ohne Vorwarnung, zu. Alle sind entsetzt.
Was war aus Sicht des Hundes passiert? Ein Fremder, der Besucher, kommt ins Haus. Intuitiv interpretiert der Hund das als eine mutmaßliche Bedrohung der familiären Sicherheit. In diese Bedrohungslage versucht der Hund Kontrolle zu bringen, indem er an dem Jungen hochspringt, hinter den Kindern herläuft. Darin wird er gestoppt, allerdings kümmert sich niemand um die Bedrohungslage -so die Perspektive des Hundes. Also bewacht er einen Teil des Besuchs, die Schuhe, denn auf die hat er Zugriff und kann Kontrolle ausüben. Als der Junge kommt um seine Schuhe anzuziehen, die vom Hund in seinen Grenzen bewacht werden, handelt der Hund und bewahrt seine Grenzen, indem er zuschnappt. Vorher hat der Hund den Jungen beim Herankommen direkt angesehen.
Fazit: aus seiner Interpretation hat der Hund alles richtig gemacht. Aus unserer Interpretation war es eine Katastrophe.
Man kann sich gut vorstellen, was passiert, wenn wir uns Hunden nähern, die durch unsere Annäherung eine Bedrohung interpretieren. Fatalerweise kann es schon ausreichen, wenn wir als Menschen oder auch unsere Hunde als Passanten an einem Grundstück vorbeigehen. Oder wir den Besitzer begrüßen wollen oder wir einen Arm heben um zu winken.
Eine andere, sehr gefährliche Situation kann eintreten, wenn Hunde beginnen ihre Menschen zu erziehen oder auch, wenn man auf Rassen schaut, die für das Hüten und Treiben gezüchtet wurden. Nicht selten kommt es vor, dass „sich bewegende“ Menschen, wie Jogger und Radfahrer, Opfer dieser Hunderassen werden. Manche Hunde beißen rein aus Angst um sich vor einer vermeintlichen Gefahr zu schützen. Auch wurden viele Hunderassen so gezüchtet, dass sie nicht allein für eine nützliche Arbeit zu gebrauchen waren, sondern auch zum Schutz von Hof, Mensch und Vieh.
Rassehundezucht führt daher immer zu einer speziellen Wahrnehmung von Hunden. Unser Rauhaardackel aus unserem Beispiel ist ein stark verteidungsbereiter, wildscharfer, reizoffener Hund. Perfekt als Arbeitshund geeignet. Allerdings benötigt ein solcher Hund, rein in der Familie gehalten, viel Wissen seitens der Halter, aber vor allem absolut klare nachhaltige Erziehung.
Meinungen, Hunde seien aggressiv, weil sie vermeintlich dominant seien, sind FALSCH. Die Vorstellung von einer hierarchischen Rangordnung in einem Hunderudel ist FALSCH. Tiere bilden KEINE hierarchischen Rangordnungen aus in der Form, wie sie uns vermittelt wird. Vielmehr entsteht eine natürliche Ordnung durch bestimmte Attribute von Personen in der Gruppe. Diese ist so flexibel wie ein japanisches Hochhaus in einem Erdbebengebiet.
Durch solche „Rangordnungsaussagen“ wird lediglich große und fatale Unwissenheit ausgedrückt.
Haushunde HABEN existentielle Gründe für aggressives Verhalten. Und JEDER Hund ist natürlich aggressiv.
Gefährlich wird es immer dann, wenn Hunde mit großer Heftigkeit reagieren. Aggressivität oder „Bösartigkeit“ ist also alleine die Folge für uns Menschen, Hunde und andere Tiere, des Ausmaßes der Aggression unserer Hunde. Und an dieser Stelle sei noch erwähnt, dass es viele Unfälle dadurch gibt, dass Hunde Menschen umrennen oder in sie hineinrennen, weil sie nicht gelernt haben, dass Menschen mit respektvollem Abstand zu behandeln sind. Mir kommt da gerne das Beispiel einer Frau, die von zwei „spielenden“ Retrievern so stark am Bein getroffen wurde, dass sie sowohl einen Hüftbruch als auch einen Oberschenkelbruch erlitt. Oder der alte Mann, der vom „begrüßenden“ Hund die Treppe runtergeschubst wurde. Die ballspielenden Kinder, die in Arme und Beine gebissen wurden. Die Frau mit gebrochenem Schlüsselbein und Arm, weil sie ihren aktiven Hund auslasten wollte und mit ihm Fahrrad gefahren ist.
Gründe für aggressives Verhalten sind:
FEHLENDE REFLEXION von Hundebesitzern: durch falsche Interpretationen von Hundeverhalten werden Gefahren nicht erkannt.
Fehlerhafte Erziehung durch fehlende Bildung:
- Grundsätzlicher Wunsch von Hundehaltern Konflikte mit dem Hund zu vermeiden -falsch umgesetzter Harmoniewunsch mit fatalen Folgen für die Psyche des eigenen Hundes, für Hundehalter selbst und für die Umwelt
- Ungeeignete Trainingsmethoden: uneindeutige Absprachen und Regeln, dauerhafter Leckercheneinwurf
- Mangelnde Einordnung und fehlendes Vertrauen seitens der Hunde in die Handlungsbereitschaft und -fähigkeit ihrer Menschen
- Naive Sichtweise auf den Hund
- Mangelnde Konsequenz des Halters
- Aus Hundeperspektive verwirrendes Feedback
- Falsche Reaktionen auf das Verhalten des Hundes
- Hundeschule: inkompetente TrainerInnen beraten falsch weil sie es selbst nicht besser wissen
- Gezieltes „Scharfmachen“: Missbrauch des Hundes als Ersatz für eine Waffe oder als Vehikel für das eigene Selbstwertgefühl durch den Halter
- Äußerst selten: misslungene Sozialisation. Die Früherziehung der Hunde durch Artgenossen oder einen Menschen ist gestört worden oder ganz ausgeblieben
- Angst: Der Hund befindet sich in einer (womöglich nur vermeintlich) bedrohlichen Situation und will sich verteidigen
- Jagdtrieb: Manche Hunde interpretieren Menschen und andere Tiere als jagdbare Objekte. Dann werden laufende Kinder, Jogger oder Radfahrer als „Beute“ verfolgt
- Neurologische Probleme: Selten, aber nicht zuletzt kann aggressives Verhalten des Tieres auch durch krankhafte Veränderungen im Gehirn ausgelöst werden
Noch ein, leider alltägliches, Beispiel aus unserer Community:
„Letztes Jahr: Ich gehe mit meinem Hund schnell an der Leine weit rechts (führe ihn sogar rechts), weil der mir entgegenkommende alte Mann offensichtlich seinen sehr angespannten Altdeutschen Schäferhund kaum halten kann. Mein Hund ignoriert den Hund. Neben ihm, also in der Mitte zwischen uns, geht eine Bekannte von mir und unterhält sich mit dem Typen. Als wir gerade schnellen Schrittes aneinander vorbeigehen, schießt der Schäferhund Richtung meinem Hund, die Frau fällt über die Leine, bis der Typ die loslässt, die Hunde kämpfen übelst. Gottseidank hatte ich meine Mutter vorausgeschickt, weil ich schon Stress kommen sah, sonst wäre sie auch noch in dem Chaos verwickelt gewesen. Der alte Mann und ich kriegen die Hunde irgendwie getrennt. Resultat: Die Frau, die der Schäferhund in seiner Aggression über den Haufen gerannt hat, hat 3 Monate mit Wirbelfrakturen in der Klinik gelegen. Der Mann behauptet heute noch, mein Hund habe seinen Hund „provoziert“. Gottseidank glaubt ihm niemand, da er zum x. Mal in ähnliche Situationen involviert war.“
03 Wie gehe ich mit meinem Hund um, wenn es zu Problemen kommt?
Wenn dein eigener Hund Anzeichen von Aggressivität dir gegenüber zeigt, ist es Zeit eure Beziehung zu hinterfragen und zu schauen „Wie sieht mein Hund eigentlich die Welt?“. Versuche herauszufinden woher das Verhalten kommen könnte und sei ehrlich zu dir selbst dabei!
Wichtige Fragen zum Auslöser:
- Gab es Veränderungen im Leben des Hundes?
- Hat er ein besonderes Erlebnis gehabt, was ihm Angst macht?
- Muss er Ressourcen wie Futter oder Spielzeug verteidigen?
- Sind neue Menschen oder Hunde in seinem Umfeld?
Wo wir schon auf der Suche nach den Gründen sind, ein kleiner Hinweis an dieser Stelle: die aller-aller-wenigsten Hunde sind traumatisiert, egal ob Tierschutz oder nicht. Wenn du mit deiner Suche nicht weiterkommst, solltest du dir Rat einholen bei Leuten, die sich beruflich damit auskennen und dich in Sachen Hund gut bilden.
An dieser Stelle noch ein Tipp: Aggressivität lässt sich in keinem Fall mit Leckerlis wegtrainieren!
04 Wie verhalte ich mich, wenn mir ein aggressiver Hund begegnet?
Ziel von aggressiven Hunden wird erst einmal dein eigener Hund sein. Je nachdem, welche Kilomassen und Entschlossenheit da auf dich und deinen Hund treffen, kann die Sache brenzlig werden. Wenn möglich hast du deinem Hund bereits im Vorfeld beigebracht, dass ihn fremde Hunde nichts angehen. Dadurch hat dein Hund nicht nur Vertrauen in dich entwickelt, sondern zeigt auch eine ignorante deeskalierende Körperhaltung.
Seid ihr in eine Situation geraten, in der euch ein anderer Hund massiv droht, dann ist Ausweichen und oder Zurückdrohen durch Großmachen, Jacke öffnen und Arme spreizen das beste Mittel der Wahl. Denn denke daran: der Drohende will seine Grenzen beschützen. Anscheinend seid ihr zu nah dran.
Werdet ihr aber direkt angegriffen, so entscheide, ob dein eigener Hund in der Lage ist dem Widersacher körperlich standzuhalten. Je nach dem ist es ratsam dann die Leine loszulassen und die beiden vorerst sich selbst zu überlassen. Jetzt ist die Frage, wie eskaliert die Situation bereits ist. Wird lautstark gerauft und die Hunde sind etwa gleich stark und lassen immer mal wieder kurz voneinander ab, ist es sinnvoll zu gehen und deinen Hund zu rufen.
Ist ein Hund unterlegen und der andere lässt nicht ab, so muss eingeschritten werden! Rufe andere zur Hilfe und versuche durch Greifen ins Halsband den einen Hund vom anderen zu trennen. Achtung! Verletzungsgefahr für dich und alle Beteiligten! Handle nur, wenn du dir ein beherztes kräftiges Zupacken zutraust.
Triffst du selbst auf einen aggressiven Hund, versuche die Situation schnell einzuschätzen. Es kann funktionieren dem Hund zurück zu drohen, indem du die Jacke öffnest und dich groß machst. Das kann die Sache allerdings auch weiter eskalieren lassen. Deswegen ist es klug zu deeskalieren: beweg dich nicht, schau den Hund niemals direkt an, wende langsam und vorsichtig den Kopf von ihm ab, gib kein Geräusch von dir, lass ihn tun, was er tut. Manche Hunde springen die Menschen an, andere markieren an Menschen oder bellen und knurren.
Greift ein Hund dich wirklich an, so versuche stehen zu bleiben und ihm einen Gegenstand entgegen zu halten in den er beißen kann. Rufe um Hilfe! Und wehre dich.
Aggression beim Hund ist ein sensibles Thema, über das häufig nicht oder nur leise gesprochen wird. Gute Bildung in Sachen Hund und ein realistischer Blick auf unsere geliebten Tiere hilft allen: den Hunden (vor allem den aggressiven), dir als HundehalterIn und allen anderen Mitgeschöpfen.
Da es nicht DEN HUND gibt, sondern viele verschiedene Hunderassen und -individuen, lässt sich hier keine verallgemeinernde Aussage treffen. Kurzum, nicht jeder Hund äußert Aggression auf dieselbe Weise. So kann sich Aggression äußern, indem der Hund knurrt, bellt, die Zähne fletscht – klar, das kennen wir alle. Aber es gibt auch Hunde, die nur gezielt eine Sache anschauen oder einen anderen Hund oder Menschen. Es gibt Hunde, die sich flach auf den Boden legen und dann plötzlich aufspringen. Hunde, die Menschen und Hunde anspringen oder umrennen. Hunde stellen einen Haarkamm auf vom Nacken bis zur Schwanzspitze oder markieren während sie einen anderen anschauen. Oder wer hätte vermutet, dass Hunde Aggression auch durch Lecken zum Ausdruck bringen? Ja, all dies zählt zu aggressiven Verhaltensweisen.